Licht vs. Kameraausrüstung
Wenn man sich aktuelle Fotozeitschriften durchliest, wird man mit neuen Produkten überschwemmt und fragt sich welche Kamera man sich kaufen soll oder welches neue Objektiv man unbedingt braucht um das oder das umsetzen zu können. Man versucht sein fotografisches Scheitern auf die schlechte oder noch nicht vorhandene Ausrüstung zu übertragen. Auf englischen Seiten wird diese Kaufsucht als G.A.S. = gear acquistion syndrom bezeichnet, was soviel wie Ausrüstung-Anhäufungs-Syndrom bedeutet. Es gibt einfach Punkte in der fotografischen Laufbahn an denen man nicht mehr weiter kommt und nicht an das Level der Vorbilder herankommt. Man redet sich ein, dass es an der Technik liegen muss und der einfachste Weg diese Phase zu überwinden nur durch den Austausch der veralteten/ fehlenden Ausrüstung möglich ist. Ich will mit diesem Artikel einen kleinen Denkanstoß an alljenige liefern, die sich manchmal selbst in dieser Situation gefangen sehen.
Tristes Licht
Anhand von einem kleinen Beispiel aus meiner Realität will ich Dir einen Faktor nahe bringen, der durch keine Ausrüstung der Welt zu ersetzen ist. Auslöser für diesen Blogpost war für mich der Blick aus dem Fenster:
Morgens wenn ich aufstehe laufe ich zwangsläufig immer an meinem Wohzimmerfenster vorbei und werfe einen Blick nach draußen. Wer kennt es nicht: Man blickt aus dem Fenster, sieht das triste Wetter, die nassen Straßen und spürt förmlich die auf einen zukommende Kälte wenn man das Haus verlässt. Der erste Gedanke der wahrscheinlich vielen aufkommen mag ist, ob man nicht doch wieder zurück ins warme, bequeme Bett springt. Das fehlende Sonnenlicht und auch der Nebel versprechen einem Kälte, Dreck und Regenschirm.
Fotografisch gesehen muss dies aber nicht unbedingt ein negativ behafteter Zustand sein, aber er erschwert einem ungemein schöne Bilder zu machen. Es ist aber durchaus möglich diese Atmosphäre für Bilder zu nutzen, die genau so ein trauriges Gefühl vermitteln sollen.
Kommen wir aber wieder auf das Beispiel mit dem Blick aus dem Fenster zurück: Wie es so üblich ist, ändert sich nichts an der Perspektive. Die Straße im Vordergrund, die Häuser im Mittelgrund, die Berge und Bäume im Hintergrund bleiben immer an Ort und Stelle. Was sich aber komplett ändern kann ist das Licht, die Temperatur, die Jahreszeit und somit die gesamte Atmosphäre.
bewölkter, verregneter Morgen
Ein Beispiel für die Nutzung von tristem Licht:
Portraitaufnahme bei Schnee mit tristem Licht
Die Wirkung von Licht
Manchmal ist alles nebelbehangen und ich kann nicht einmal über die Straße blicken. Meistens sieht es aber nur sterbenslangweilig aus. Letzten Freitag, bin ich auch im gewohnten Aufstehtrott an meinem Fenster vorbeigelaufen und mir ist beim flüchtigen Blick aus dem Fenster fast die Kinnlade heruntergefallen. Die Sonne bricht von links oben zwischen den Bergen durch, strömender Regen, die Straße reflektiert durch die Nässe und nur die Baumwipfel sind in ein oranges, surreales Sonnenaufgangslicht getaucht.
Es ist ein und derselbe Ort, die gleiche Perspektive, die gleiche Brennweite (50 mm Objektiv) und sogar fast genau der gleiche Bildausschnitt. Trotz allem sind die beiden Bilder grundverschieden. Übertragen kann man dieses Beispiel auf nahezu jeden Anwendungsbereich in der Fotografie. Wenn ich in einer Stadt bin und an einen Ort komme von dem ich fasziniert bin kann es durchaus sein, dass das Licht welches gerade gegeben ist überhaupt keine Atmosphäre transportiert. Das unterscheidet auch den professionellen Landschaftsfotografen vom Laien, der sich ständig neue Ausrüstung kaufen “muss”. Der professionelle Landschaftsfotograf geht so oft an den entsprechenden Ort zurück bis das Licht wirklich seiner Vorstellung entspricht. Der Laie macht sein Bild und fragt sich im Nachhinein warum sein Bild nicht so gut ist wie das seines Vorbildes.
verregnete Straße bei Sonnenaufgang
Ausrüstung vs. Erfahrung
Faktoren, die von der Ausrüstung beeinflusst werden
- Bildausschnitt (Brennweite, Cropfaktor)
- Bildqualität (Sensor, Bildprozessor, Objektive)
- Freistellung (Objektiv, Sensorgröße)
- Dynamikumfang (hauptsächlich Sensor)
- Rauschverhalten (Sensor, Bildprozessor)
sind qualitative Faktoren.
Faktoren, die nicht von der Ausrüstung beeinflusst werden
- Licht (Tageslicht, Kunstlicht, …)
- Perspektive (Frosch, Vogel, Normal, …)
- Komposition (Figur-Grundbeziehung, goldener Schnitt, …)
- Emotion (vor allem bei Portraits)
- Kreativität
- Reiselust
sind künstlerisch-kreative Faktoren.
Dieser erste Blogpost meinerseits soll als Anregung dienen, bewusst Licht zu sehen und vielleicht auch öfters mal an einen Ort zurückzukommen, der bei Mittagssonnenlicht eher als fad empfunden wird, bei einem Sonnenuntergang mit Wolkenszenario hingegen, eine unglaublich faszinierende Fotografie darstellen kann.
Wenn Du bis hier unten mein Gedankensammelsurium durchgelesen hast bin ich darüber sehr erfreut und würde mich sowohl über Kommentare als auch ernst gemeinte Kritik bzw. Anregungen freuen.